Samstag, 17. Juni 2023

Rezension zu "I'm glad my mom died" (Jennette McCurdy)

Bibliografische Daten zum Buch:
Titel: I'm glad my mom died
geschrieben von Jennette McCurdy
übersetzt von Henriette Zeltner-Shane, Sylvia Bieker
Verlag: FISCHER Taschenbuch
Erscheinungstermin: 24.05.2023
384 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-596-70888-8
Preis (Print): 18,00€

Klappentext:
Seit sie denken kann, wird Jennette von ihrer Mutter beherrscht, emotional erpresst und psychisch wie körperlich missbraucht. Das einzige, was Debra sich für ihre Tochter – aber vor allem für sich selbst – wünscht, ist Jennettes Erfolg als Fernseh-Star. Für Jennette beginnt ein Kreislauf aus Castings, Angstattacken und Selbsthass. Dann bekommt sie die Rolle als Sam Puckett in der Nickelodeon-Serie »iCarly« – eine Rolle, in der sie sich gedemütigt fühlt und Produzenten ausgesetzt ist, die ihre Macht missbrauchen. Als Debra an Krebs stirbt ist Jennette 21 Jahre alt und hat das Zentrum ihres Lebens verloren. Das einzige, worüber sie noch Kontrolle hat, ist ihr Essverhalten und die junge Frau stürzt ab in Essstörungen, Alkoholsucht und toxische Beziehungen.Einzig eine wegen ihrer Bulimie angefangene Therapie erweist sich als Jennettes Weg in die Freiheit. Es kostet sie Jahre um zu erkennen, was ihre Mutter ihr ein Leben lang angetan hat. Doch jetzt kann sie zum ersten Mal entscheiden, was sie selbst möchte, und es ist an der Zeit, die Kontrolle über ihre eigene Zukunft zu übernehmen.
(Quelle Daten, Text & Cover inkl. Copyright: Fischer Verlag)
Jennette McCurdy war mir aus meiner von Nickelodeon-Serien begleiteten späten Kindheit und Jugend ein großer Begriff. Ich habe ihre Rolle immer bewundert, aber damals zugleich auch nicht mehr in ihr gesehen als Sam, die Serienfigur, eine lustige, sich ständig prügelnde, resolute junge Frau. Dass ein ganz anderer Mensch dahinter steckt, ein Leben, was so gar nichts mit der verkörperten Rolle zu tun hat, verdrängen viele oft, das geht sicher nicht nur mir so. Und gerade der Hauptzielgruppe, den Kindern, kann man da auch keinen großen Vorwurf draus machen, zumal Jennette lange Zeit während der Drehzeit von iCarly selbst noch sehr jung war und sich entsprechend viele jüngere Zuschauende mit ihr identifizieren konnten.
 
Doch was, wenn dieses Kind erwachsen wird? Was, wenn dieser Mensch merkt, dass er eigentlich immer etwas ganz anderes wollte? Dass es nie die eigenen Wünsche waren, die man verfolgt hat, sondern die der Mutter? Was, wenn man feststellt, dass die Person, die man am meisten auf der Welt zu lieben glaubte, der Grund für den Eintritt in die ganz persönliche Hölle ist?
 
All das durchlebt die Autorin während des Buches mit den Lesenden zusammen noch einmal. Sie rollt ihre Kindheit von Anfang an auf, beleuchtet ihr Leben ungeschönt und voller Ehrlichkeit, mitsamt aller Macken, Fehlentscheidungen, schönen und grausamen Momente. Sie zensiert nichts, weder ihre toxische Beziehung zur Mutter, noch ihre immer wiederkehrenden Essstörungen, nicht die Übergriffe beim Dreh einiger Serien, nicht die Schattenseiten der Medienbranche.
Es nimmt beim Lesen sehr mit, wie hoffnungslos Jennettes Leben an manchen Stellen scheint, wie sehr sie leidet, wie sehr sie kämpft, nicht die Kontrolle zu verlieren und es zugleich allen, insbesondere ihrer Mutter, recht zu machen.
 
Man fühlt sich als lesende Person immer nah an ihrer Seite, will ihr helfen, und ist zugleich sprach- und machtlos. Was sie durchleiden muss, was ihre eigene Mutter ihr über die Jahre hinweg zugemutet hat, ist nur schwer begreiflich, und zugleich macht die Schreibende ihre Motive nachvollziehbar, weshalb sie nicht schon früher versucht hat, den Ketten zu entkommen. Wenn man nicht selbst so eine Beziehung erlebt hat, kann man wohl nie zu 100% greifen, welche Dynamiken dahinterstecken, aber Jennette weiß die Lesenden dennoch zu fesseln, zu schockieren, an sich zu binden und emotional zu involvieren.
 
Für mich war gerade der Bezug zu iCarly der Knackpunkt, weshalb ich das Buch lesen wollte. Die Vorwürfe um den Creator der Serie habe ich auch vorher schon wahrgenommen, aber das aus der Sicht einer Betroffenen zu lesen, hat mich tief bestürzt. Um dorthin zu gelangen, vergeht ein großer Teil von Jennettes Kindheit, den ich so intensiv beschrieben nicht erwartet hätte, der allerdings das Fundament für alles legt, was danach folgt.
 
Die Triggerwarnung hätte in meinen Augen bei den krassen Szenen und der expliziten Wortwahl noch präsenter sein können, nicht zwischen den bibliografischen Daten versteckt, sondern freistehend und deutlich auf den ersten Blick erkennbar.
 
Mein Fazit:
Nichts für schwache Nerven, abgesehen davon eine beeindruckende, tiefgehende Auto-Biografie, die die Lesenden auf eine Reise mitnimmt, von der ich mit Sicherheit behaupten kann, dass man sie so schnell nicht wird vergessen können.
⭐⭐⭐⭐⭐