Montag, 7. Februar 2022

Rezension zu "Heul doch nicht, du lebst ja noch" (Kirsten Boie)

Bibliografische Daten zum Buch:
Titel: Heul doch nicht, du lebst ja noch
geschrieben von Kirsten Boie
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
ISBN: 978-3-7512-0163-6
Erscheinungstermin: 08.01.2022
Umfang: 176 Seiten
Verlag: Oetinger
Preis (Print): 14,00€

Klappentext:

Hamburg, Juni 1945: Die Stadt liegt in Trümmern. Mittendrin leben Traute, Hermann und Jakob. Der nennt sich allerdings Friedrich, denn niemand soll erfahren, dass er Jude ist. Als Hermann ihm dennoch auf die Spur kommt, will er nichts mehr mit Jakob zu tun haben. Schuld, Wahrheit, Angst und Wut sind die zentralen Themen dieses Buchs, dessen jugendliche Hauptfiguren durch die Schrecken des Krieges und der Naziherrschaft miteinander verbunden sind. Und für die es doch immer wieder Lichtblicke gibt.
(Quelle Daten, Text & Cover inkl. Copyright: Oetinger Verlag)
Von Kirsten Boie ist man ein hohes literarisches Niveau gewohnt. Ihr letztes Buch, was ich gelesen habe, war Dunkelnacht und ich war tief beeindruckt von diesem Werk. Ein wichtiges Thema wie die sensiblen Stellen der deutschen Geschichte so sprachlich eindrucksvoll und schonungslos zugleich rüberzubringen und die Lesenden damit komplett aus der Bahn zu werfen, müssen Schreibende erst einmal schaffen, ohne dabei direkt so zu wirken, als treten sie den Lesenden belehrend mit mahnendem Zeigefinger gegenüber. Kirsten Boie hat dieses Maß perfekt getroffen und so war ich mehr als gespannt auf dieses Buch, von dem ich mir ähnliches versprach. Ich denke, ich greife nicht zu weit vor, wenn ich sage, ich habe exakt das bekommen, was ich mir erhofft hatte.
 
In diesem Buch geht es um drei überlebende Kinder nach dem Ende des zweiten Weltkriegs 1945. Traute, Jacob und Hermann könnten unterschiedlicher kaum sein, der eine ist Jude, die zweite ist Tochter einer Bäckersfamilie und der dritte ehemaliges hochrangiges Mitglied der HJ, und dennoch vereint sie alle das gleiche Schicksal: Sie müssen im Nachkriegsdeutschland mit sich und den neuen Umständen klarkommen. Es hat sich so viel für die Kinder und deren Familien verändert und jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen, manche sind mehr und manche weniger schwer. Dennoch fühlt es sich falsch an, die drei miteinander zu vergleichen, da sie alle für sich aus dem Leben gerissen worden sind. Man könnte meinen, dass Jacob als Jude das härteste Schicksal hat, doch ich muss ehrlich gestehen, dass ich trotz seiner eingefahrenen Ansichten mit Hermann im Endeffekt am meisten Mitleid hatte. Der Junge ist kein Musterknabe und nicht mal ein besonders freundlicher Bursche, doch bei dem Gedanken daran, was er zuhause mitmachen muss, schaudert es mich jetzt noch.
 
In diesem Buch wird deutlich, welche Spuren der Krieg hinterlassen hat. "Heul doch nicht, du lebst ja noch" beschreibt das Gefühl, den Zwiespalt, mit dem man das Buch liest, perfekt. Einerseits will man denen, die jetzt noch da sind, genau das sagen, aber andererseits, wie soll man jemandem in einer solch bedrückenden Situation das Recht absprechen, zu trauern und am Boden zerstört zu sein? Wie könnte man auf die Idee kommen, auch nur daran zu denken, es sei für die drei doch jetzt alles überstanden und damit automatisch wieder gut?
 
Das Buch gibt mir auch jetzt noch stark zu denken. Kirsten Boie hat wie ich finde eine Atmosphäre erschaffen, die ich als Unwissende durchaus als authentisch bezeichnen würde, sie hat ungeschönt und ohne Hemmungen den Alltag der drei Kinder für die Lesenden aufbereitet und die verschiedensten Menschen vereint im selben Schicksal dargestellt. Der zwar knappe aber trotzdem detaillierte, umgangssprachliche Schreibstil mit immer wiederkehrenden Verweisen auf die Dialekte, die die Menschen teils sprechen, trägt sein übriges dazu bei, dass sich die Geschichte wie ein Film vor dem inneren Auge aufbaut.
 
Dafür, dass das Buch so kurz ist, kamen wie schon bei Dunkelnacht erstaunlich viele Emotionen bei mir an. Ich hing bestürzt über den Seiten, habe gebannt gewartet, was als nächstes passiert, habe auf ein Happy End für die Kinder gehofft.
Was mir besonders gefallen hat, waren die leicht hoffnungsvollen Schlussgedanken von Traute, die nahelegen, dass es jetzt vielleicht Zeit für eine positive Wandlung in der Geschichte ist. Dass es jetzt vielleicht bergauf geht.
 
Mein Fazit:
Ein eindringliches und schonungslos ehrliches Jugendbuch, welches einem die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg aus verschiedenen Perspektiven näher bringt. Bauchgrummeln verursachend und vorsichtige Hoffnung auslösend zugleich hat mich die Geschichte von Traute, Jacob und Hermann mitgerissen und tief bewegt.
Ich kann gar nicht anders, als 5 von 5 Sternen zu vergeben. 
⭐⭐⭐⭐⭐

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