Sonntag, 27. Februar 2022

Rezension zu "Ey hör mal!" (Gulraiz Sharif)

Bibliografische Daten zum Buch:
Titel: Ey hör mal!
geschrieben von Gulraiz Sharif
ISBN: 978-3-03880-054-5
Preis (Print): 15,00€
Hardcover, 208 Seiten
erschienen am 16.02.2022
empfohlen ab 12 Jahren 

Klappentext:
Es sind Sommerferien und der fünfzehnjährige Mahmoud stellt sich auf lange Tage außerhalb seines Plattenbau-Viertels am Rand von Oslo ein. Norwegische Norweger verreisen in den Sommerferien, aber was machen mittellose Ausländer? Doch dieser Sommer wird anders. Denn die Familie erhält Besuch von Onkel Ji aus Pakistan und Mahmoud soll ihm die Stadt zeigen. Onkel Ji ist fasziniert von dem fremden Land, doch dann beginnt auch er sich zu fragen, ob mit Ali, Mahmouds kleinem Bruder, etwas nicht stimmt. Denn Ali spielt mit Puppen und benimmt sich nicht so, wie ein Pakistani-Junge sich benehmen sollte …
(Quelle Daten, Text & Cover inkl. Copyright: Arctis Verlag)
„Ey hör mal“ ist ein Buch, was mich in einem riesigen Zwiespalt zurückgelassen hat. Inhaltlich ist die Geschichte von Mahmoud ein klares und eindeutiges Highlight! Aber stilistisch bin ich ziemlich aufgelaufen. Da das auch anderen noch so gehen könnte, empfehle ich, völlig abseits davon, wie sehr einem der Klappentext zusagt, vorab in eine Leseprobe reinzuschnuppern, damit es keine bösen Überraschungen bezüglich der Erzählweise gibt. Hätte ich das vorher gewusst.. ich weiß nicht, ob ich dann auch zu der Geschichte gegriffen hätte, so sehr ich auch vom Inhalt begeistert war. Ich behaupte mal, entweder feiert man den Schreibstil, oder man findet ihn schwierig.
 
Mahmoud erzählt mit extremstem Slang, vielen Kraftausdrücken und sehr ausgeprägter Umgangssprache voller Alter's, Diggah's und Bro's. Das Ganze im Gespräch zu hören ist eine Sache, daran gewöhnt man sich vielleicht. Aber das „voll so die ganze Zeit über krass zu lesen“, um es in seinem Stil zu formulieren, hat mich viele, viele Nerven gekostet. Mag sein, dass das die Authentizität verstärkt. Will ich nicht abstreiten. Aber ich behaupte mal, etwas weniger extrem hätte es auch getan und mir zudem das Lesen erheblich erleichtert.
 
Unabhängig vom Stil ist der Inhalt allerdings ein wahres Juwel. Mahmoud erzählt mit unerwartet viel Humor, aber auch vielen ernsten Passagen und erstaunlich tiefgründigen Gedankengängen aus der Sicht eines pakistanischen Jungen, wie es in einem europäischen Land wie Norwegen für eingewanderte Familien zugeht. Wie sehr sich die Kultur unterscheidet, was gut läuft, was schlecht läuft, und das schürt Verständnis. Er schafft eine Brücke zwischen der Leserschaft und seinem Alltag, einem Alltag, der für viele von uns wohl nur schwer vorstellbar ist. Hiebe mit dem Schlappen gehören in seiner Familie einfach dazu, und irgendwie kriegt er es hin, dass ich das nicht verurteilt, sondern angenommen habe. Er ist sich der Unterschiede zum Beispiel in der Erziehung sehr gut bewusst und spricht sie offen an, genauso wie bekannte Klischees oder Vorurteile. Das hat etwas entwaffnendes und unglaublich sympathisches, und bringt einen dazu, die eigenen Gedanken zu reflektieren.
 
Der Handlungsstrang um Mahmouds Bruder Ali hat mich sehr berührt. An Reaktionen gibt es innerhalb der Familie alles, von bestärkend und verständnisvoll bis zum kompletten Ausraster und riesiger Intoleranz. Aber ich fand alles davon nachvollziehbar und (teils muss ich sagen „leider“, wie im Fall von Mahmouds Vater) realistisch dargestellt. Auch die Entwicklung des Ganzen hat mich überzeugt und selbst wenn das Ende relativ offen gestaltet ist, fand ich es super. Es war genau so, wie es war, perfekt. Im ganzen Verlauf der Offenbarung von Alis Gefühlen war ich immer wieder verblüfft über Mahmouds weise Aussagen. Er hat so viele Dinge von sich gegeben, so viele unheimlich sympathische Dinge über Toleranz und Menschlichkeit, darüber, gut so zu sein, genau wie man ist, dass man mit diesen Zitaten ein ganzes Notizbuch hätte füllen können.
 
Während ich die Rezension so schreibe, wird mir noch mal bewusst, wie gut mir der Inhalt wirklich gefallen hat. Rein von der Story her kann ich keinen Kritikpunkt aufbringen und würde dem Buch die volle Sternzahl geben, aaaaber.
Aber da ist leider, leider, leider der Schreibstil. Und der hat mir das Leseerlebnis echt mühsam gestaltet, er hat mich genervt und es geschafft, dass ich für ein gerade mal knapp 200 Seiten starkes Buch eine ganze Woche brauche. So gern ich des Inhalts wegen würde, kann ich darüber einfach nicht hinweg sehen.
 
Mein Fazit:
Ich habe mit dem Erzählstil ebenso sehr gekämpft, wie ich den Inhalt geliebt habe. Das macht es mir sehr schwer, eine vernünftige Bewertung zu finden, die beiden Extremen gerecht wird. Des Inhalts wegen werden es 3,5 Sterne. Und des Inhalts wegen werde ich dort, wo nur ganze Sterne möglich sind, auch auf 4 aufrunden. 
⭐⭐⭐,5