Freitag, 2. November 2018

Rezension zu "Wie man die Zeit anhält" (Matt Haig)


 Hier mal wieder eine ältere Rezension zu einem Buch, ebenfalls von vorablesen. Ich musste einiges anpassen, damit nicht auffällt, wie anders ich meine Rezis noch vor einiger Zeit geschrieben habe.. 👀

"Mein Leben ist wie eine Matrjoschka-Puppe, denke ich manchmal, verschiedene ineinander geschachtelte Versionen, bei denen die neueste immer die älteren umschließt, die früheren Leben von außen nicht sichtbar, aber immer noch da."

Tom Hazard lebte schon viele Leben. Er mag aussehen, wie ein Mann in den Vierzigern, doch in Wirklichkeit ist er bereits mehrere hundert Jahre alt. Dieser Gendefekt, der ihn langsamer altern lässt, macht es gefährlich, länger an einem Ort zu leben, denn nach einer gewissen Zeit werden die Mitmenschen misstrauisch. Beziehungen und Freundschaften zu normalen Leuten sind unmöglich, muss er doch seine Andersartigkeit geheim halten. Tom wird zunehmend einsamer, bis er beschließt, dass das ständige Reisen ein Ende haben muss. Er lässt sich in London nieder und wird Geschichtslehrer an einer Schule, wo er die Französischlehrerin Camille kennenlernt, die in ihm nach langer Zeit unerwartete Gefühle weckt.


Das Buch ist aus der Ich-Perspektive von Tom geschrieben. Die Zeit, in der das Erzählte spielt, wechselt von Kapitel zu Kapitel zwischen der Gegenwart, die in London spielt und von Tom's jetzigem Lehrerleben berichtet, und verschiedenen längst vergangenen Jahren, in der man alles über seine Kindheit, Jugend, erste Liebe und ehemaligen Identitäten erfährt. Diese Flashbacks in die Vergangenheit werden häufig durch die kleinsten Dinge ausgelöst, sei es ein Buch, dessen Autor Tom einst traf, oder eine Straße, in der er mal lebte, und verbinden geschickt die Gegenwart mit den Anfängen von Tom's Leben, durch die man ihn erst richtig kennenlernt. In der ersten Hälfte des Buches wird mehr auf das schon Gewesene eingegangen als auf das Jetzige, sodass die "eigentliche" Geschichte erst später richtig Fahrt aufnimmt. Aber die kleinen Exkursionen in die früheren verschiedenen Lebensabschnitte von Tom sind mindestens genauso herzerwärmend und spannend.

Tom Hazard ist ein besonderer Charakter. Es ist nicht nur die Tatsache, dass er ungewöhnlich langsam altert, sondern auch seine Erfahrung, die er durch die vielen Jahre angesammelt hat, verknüpft mit einer Sanftheit und Ruhe, die ihn faszinierend macht. Er hat in seiner Jugend und auch danach noch vieles durchmachen müssen, was ihn maßgeblich geprägt hat, und diese Narben der Zeit merkt man ihm an. Zwar ist seine Art mit anderen zu sprechen immer der jeweiligen Zeit angepasst, doch man merkt, dass er wie eine alte Seele, sehr philosophisch und weise, denkt.

Mein Fazit:
"Wie man die Zeit anhält" ist ein durch und durch wundervoller Roman. Man lernt nicht nur einiges über die Vergangenheit, sondern ist Teil einer romantischen, nachdenklichen und liebevoll geschriebenen Geschichte über einen Mann, der es nie leicht im Leben hatte und sich trotzdem bis zuletzt die Hoffnung an eine gute Zukunft bewahrt hat. Mir hat das Buch regelrecht das Herz gewärmt, es war ein Genuss, es zu lesen und kann es jedem empfehlen, selbst wenn Geschichte in der Schule früher eure Schwachstelle war.. wie auch meine. Lasst euch verzaubern durch das ungewöhnliche Leben des Tom Hazard! 

Fünf von fünf Sternen
★★★★★